Von Männern mit Hufen und üblem Kater


Kurzweiliges, gesellschaftskritisch, doch humoristisch: Shakespeares „Sommernachtstraums“ an der Münchner Schauburg, inszeniert von Jan Friedrich. Foto: Judith Buss


In München versuchen zwei Inszenierungen von Shakespeares „Sommernachtstraum“ ein Umstyling des Klassikers – mit unterschiedlichen Nebenwirkungen für Leib und Leben.

Von Merle Zils

Wenn wir Theaterabende nach ähnlichen Kriterien bewerten würden wie durchtanzte Nächte, könnte man sagen: Wer die „Sommernachtstraum“-Vorstellung im Münchener Residenztheater durchhält, ist eine wahre Dancingqueen. Zu bedenken bleibt jedoch: Meist bringen genau diese Nächte den fiesesten Kater.

Die Bühne des Resis hüllt sich dem aktuellen Trend entsprechend und daher leider wenig überraschend in eine Trash-Verkleidung. Ein Rohbau, beschmiert mit Graffiti und Zeichnungen von psychedelischen Pferde-Gestalten (Bühne: Katja Haß). Der Look erinnert an abgeranzte Club-Toilette, inklusive versifftem Waschbecken. Aber Überraschung! Tatsächlich befinden wir uns in einem Autohaus. Das kann wohl nur erkennen, wer schon das ein oder andere Pillchen geschluckt hat.

Verkehrte Welt

In diese Berghain-Toiletten-Welt passt der kecke Puck (Max Rothbart), der mit weißblond gefärbtem Mullet und etwas zu engem Shirt, auf dem plakativ „Zentrum“ prangt, zu Beginn am Lichtschalter rumfummelt, wie es sonst nur kleine Geschwister können. Schnell geht dieser Randalierer, angestachelt durch seinen Herrscher Oberon (Lukas Rüppel), dazu über, ebenso mit dem Liebesleben vier junger Sterblicher zu spielen. Erfrischend ist dabei der Tausch mancher weiblicher und männlicher Figuren. Helena, die in Shakespeares Original, verzweifelt auf der Suche nach Liebe, immer wieder Erniedrigungen ausgesetzt ist, wird zu Helmut (Niklas Mitteregger). Dieser tauscht als Zeichen absoluter Unterwürfigkeit sein BWL-Justus-Aussehen gegen Raver mit Hundefetisch ein und wirft sich dann zu Füßen seiner Geliebten. So wird auch jener junge Mann mit diesem wunderbaren Namen im weiteren Verlauf des Abends zum buchstäblichen Objekt der Begierde, anstatt mit der Rolle der Helena ein sexistisches Klischee über eine junge Frau zu reproduzieren. Aber das drastische Hunde-Getue, das ihn zuweilen auf allen Vieren von der Bühne fallen lässt, bleibt wohl Geschmackssache.

Das Einzige, was dieses Maß an Übertreibung noch maximiert, ist wohl die Verwandlung Zettels in den Esel. Unangenehm, nein eigentlich eher eklig untermalt durch Würgegeräuschen, bei denen einem selbst das Kotzen kommt. Auf weitere Ausführungen wird zum Schutz der Leserschaft hier lieber verzichtet.

Die Inszenierung scheint ein Versuch, die Gen-Z und ihren Lifestyle ins Lächerliche zu ziehen, rutscht dabei aber selbst in die Peinlichkeit ab. Vielleicht wäre Regisseur Stephan Kimmig (65) besser damit beraten, Witzchen über seine eigene Generation zu machen.

Ähnlich und doch ganz anders

München bietet zurzeit aber noch eine zweite Inszenierung des „Sommernachtstraums“, die am gleichen Ende des Klassiker-Adaptions-Spektrums zu verorten ist: Da wo schrullig-woke Kostüme übergeworfen, verstaubte Reclam-Texte in moderne Form gegossen und mit Geschrei wiedergegeben werden, das der Lautstärke eines Presslufthammers gleicht, bei dem man sich am liebsten die entsprechenden Ohrenschützer aufsetzen will. Dem Kater wurde in der Inszenierung von Jan Friedrich an der Münchner Schauburg allerdings mit einer guten Portion Zwiwa (Übersetzung für alle nicht Gen-Z-Angehörige: Zwischen-Wasser) recht gut entgegengewirkt.

Hier setzt man auf eine klare Trennung von Ebenen. Und ähnlich wie bei einem mühsam aufgebauten Kartenhaus macht es Spaß, ihrem Zusammenbruch beizuwohnen. In einem perfekt proportionierten weißen Raum sitzen fünf Menschen mit leuchtend gelben Reclam-Heften. Ihre Gespräche sind zeitversetzt wie im Chat. Ihre weißen Masken spiegeln die Anonymität des Internets, eine wichtige Ebene in unserer modernen Welt. Sie sprechen wie Siri und gehen wie Avatare in einem Computerspiel. Doch auch in diesem raumlosen Raum tickt unüberhörbar die Uhr – während die Darstellenden in ihrer Chatsprache über den Text diskutieren und man sie bei den unfassbar langen, stillen Denk- bzw. Schreibpausen am liebsten anschreien will, dass doch bitte jemand Erbarmen haben möge und etwas sage.

Amüsante Kontraste

Doch dann traut sich der Erste durch die Tür, verlässt das Internet, betritt die echte Welt. Nach und nach folgen ihm die anderen, werden Menschen, werden Liebende. Auch hier wurde mit einem kleinen Trick das Klischee der Helena umgangen: Die Rolle existiert, wird jedoch von einer männlich gelesenen Person verkörpert (Anh Kiet Le). Im vorderen Bereich der Bühne spielt sich nun Pucks Spiel mit der Liebe ab. Puck selbst sitzt in einer Art Hausmeisterkammer und ist eine alte rauchende Dame mit Pumuckl-rotem Bob (Sabine Zeininger). Mit ihrem Buzzer bestimmt sie quizshow-artig via Sounds und Spotlights über die Normalsterblichen. Scheint dabei aber so unfassbar gelangweilt, dass irgendwann das Sudoku hermuss. Ein skurriler Kontrast, der amüsanter nicht sein könnte.

Und dann gibt es noch Oberon (David Campling) und Titania (Simone Oswald), die sich als die herrschende Klasse nicht nur durch ihre Ebene (auf der Leinwand) von der normalen Welt abheben. An dieser Stelle muss ein Lob an die Maskenbildnerinnen ausgesprochen werden, die aus ihnen mystische blaue Wesen mit Hörnern gezaubert haben, die obendrein noch mit Hufen und befellten Beinen ausgestattet sind.

Stück für Stück kommt es zum Kollaps dieser konstruierten Klassen-Gesellschaft. Die vier Ebenen verschmelzen zu einer Geschichte: Puck tritt aus seinem Häuschen, die Herrschenden treten in die echte Welt und auch der weiße Raum des Internets verliert seine Wände. Zwischen den nur leicht übertriebenen LSD-Trip-anmutenden Strobo-Effekten und recht überwältigendem Metalcore-Geschrei findet sich hier ein kurzweiliges, gesellschaftskritisches und doch humoristisches Theater. So erinnert der mystisch angehauchte Oberon in seinem Verhalten gegenüber den Niederen (Sterbliche und Frauen) an mächtige Männer, wie wir sie auch – ganz ohne Magie – auf politischen Bühnen finden.

Danke, Shakespeare

Was beide Inszenierungen auszeichnet, ist die Geschichte – und dafür müssen wir dann wohl „Danke, Shakespeare“ sagen. „Der Sommernachtstraum“ liefert einen Plot, der auch nach Jahrhunderten immer noch modern ist. Der aufzeigt, was Liebeswahn aus Menschen macht. Der ahnen lässt, dass man sich vor Männern besser hüten sollte; klar, #notallmen, aber den übergriffigen und erst recht jenen mit Hufen. Dass Menschen mit Macht alles tun, um sie auszubauen – und mit den Gefühlen und Leben der unter ihnen Stehenden spielen, einfach, weil sie es können.

Leider verliert sich im Vergleich vor allem die Inszenierung von Stephan Kimmig am Residenztheater letztlich in ihren vielen Andeutungen und dem sarkastischen „Woke“-sein. An diesem Ort besonders auffällig, handelt es sich beim Resi doch um ein prestigeträchtiges Haus, das scheinbar unbedingt mitmischen will bei den „jungen“ Sachen und dabei wirkt wie der „coole“ Onkel am Tisch, der unironisch yolo sagt – inklusive passender Witze über Säure-Basen-Haushalte. Naja, am Ende gilt: Nach so einer Nacht hilft gegen den Kater wohl nur eine Aspirin!


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