Ein Trümmerfeld der Emotionen



Xenia Puskarz Thomas als Saiko, die sich schuldig fühlt, obwohl es sie das Opfer ist. Foto: Geoffroy Schied

Bayerische Staatsoper: Thomas Larchers „Das Jagdgewehr“ feiert beim „Ja Mai“-Festival Premiere im Cuvilliés-Theater. In der Oper schlägt die Stunde der Wahrheit – und hält Liebes-Illusionen den Spiegel vor.

Von Ella Rendtorff

„Jeder Mensch trägt eine Schlange in sich“, verkündet der schwarz-weiß gekleidete Chor in düster-disharmonischer Melodie vom seitlichen Rang aus in Richtung Bühne. Die Pauken und anderes Schlagwerk geben raumfüllend den Takt an, während sich die Solistin Xenia Puskarz Thomas in der Rolle der Saiko schlangenartig über den Bühnenboden bewegt. „Ein Verbrechen!“ habe sie begangen, beklagt sie in durchdringendem Mezzosopran und trifft damit den Puls dessen, was Thomas Larcher in seiner Oper „Das Jagdgewehr“, über drei Akte hinweg musikalisch dramatisiert erzählt: die Verbrechen der Liebe.

Nicht nur die Schleifsteine, die vom Chor aneinander geschmirgelt werden, sondern das gesamte Geschehen auf der Bühne verursacht in der Inszenierung von Ulrike Schwab Reibung. Im Zentrum der spätestens ab der Hälfte des Abends auserzählten Geschichte – das Libretto von Friederike Gösweiner basiert auf der gleichnamigen Erzählung von Yasushi Inoue – steht ein Mann, gebadet in Selbstmitleid und gekleidet in den Mantel betrügerischer Verlogenheit. Einsam auf sein Schicksal zurückblickend, lässt er einem Dichter drei Briefe zukommen, in denen drei Frauen jeweils mit ihm abrechnen. Als Ehebrecher, rücksichtsloser Geliebter und verräterischer Onkel hat er ausgedient – und streift nun als Jäger durch die Hügel mit nichts an seiner Seite außer „fünfundzwanzig Schuss Munition“ und einem „schimmernd geputzten Jagdgewehr“. Um sein Ego aufzupolieren, hilft allerdings weder die schimmernde Waffe noch der silbern glänzende Kragen des ausladenden Mantels, in den die Bühnen- und Kostümbildnerin Jule Saworski den gescheiterten Jäger (Vitor Bispo) gekleidet hat.

Vor einer Kulisse, die sich irgendwo zwischen Kirmes und Karaoke-Keller, Spiegelkabinett und surrealistischer Spielwiese bewegt, hat die Regisseurin Ulrike Schwab einen Kosmos gescheiterter Liebesbeziehungen geschaffen. Während das Bühnenbild als eine Art visuelle Wundertüte immer wieder aufs Neue überrascht, ist für die Geschichte, die sich zwischen den vier Solist:innen abspielt, von vorn herein eines klar: Sie wird nicht gut enden. Betrug, Eifersucht und exzentrisches Liebesspiel werden durch Larchers klirrende Klangwelt untermalt, in der das Bayerische Staatsorchester und der Chor unter Francesco Angelicos Leitung eine musikalische Gratwanderung zwischen experimenteller Ekstase und der barocken Beschaulichkeit eingeschobener Monteverdi-Madrigale hinlegen.

Eingeschleust in eine fünfeckige Spiegel-Röhre, ist die Ausweglosigkeit des Familiendramas der Inszenierung zwar eingeschrieben, performativ öffnet sich die Bühnenwelt allerdings zu einem Kabinett der Möglichkeiten: Es wird geraucht, frisches Essen in der Pfanne angebraten und Handstand gegen die schiefen Spiegelwände geschlagen. Dazu stürzt die Orchestermusik durch Tonlagen und Musikgeschichte wie ein rauschend-reißender Bergbach – irgendwann beginnt es auch in den Ohren zu rauschen und der Abend droht in Längen abzudriften, die sich auch durch ein unaufhaltsam in alle Richtungen sprühendes Bühnenbild nicht mehr aufpolieren lassen.

Verstrickt in Lügen, und nach dem selbsterwählten Tod der schulderfüllten Saiko mit einem Leben weniger, hinterlässt „Das Jagdgewehr“ ein Trümmerfeld der Emotionen, begleitet von einem letzten aufbrausenden musikalischen Tornado aus dem Orchestergraben: „Lieben, geliebt werden – was für ein jammervolles Menschentum!“ Eine Erkenntnis, für die keine Frau auf der Bühne hätte sterben müssen und der Abend seine ausschweifenden Schlenker durch das Klangkabinett der Illusionen hätte abkürzen können.


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