Donald Trump weint


War mal ein Mensch: Donald Trump (Sebastian Stan, mit Marija Bakalova). Foto: Apprentice Productions Ontario Inc./Profile Productions 2 Aps/Tailored Films Ltd.

Ali Abassi erzählt in seinem Film „The Apprentice“ vom Aufstieg des demnächst ins Amt zurückkehrenden US-Präsidenten. Und zeigt, wie man mit den Mitteln der Kunst die Realität kenntlich macht.

Von Leon Frei

Stellen Sie sich ein Einhorn vor, weiß mit glitzernder Mähne und gezwirbeltem Horn auf der Stirn. Und dann stellen Sie sich ein knuffiges kleines Alien vor, das mit Ihnen am Küchentisch sitzt und Uno spielt. – Jetzt stellen Sie sich Donald Trump vor, der neben Ihnen im Bett sitzt und weint … The Apprentice ist kein Science-Fiction- oder Fantasyfilm, aber er spielt mit einem unvorstellbaren Gedanken: Donald Trump war mal ein Mensch.

Regisseur Ali Abassi beginnt das kürzlich im Kino erschienene Biopic mit einem jungen Mann Mitte der 1970er-Jahre im Schlaghosenanzug. Ein Mann mit Träumen, Sehnsüchten und … Gefühlen. An dieser Stelle runzelt man vielleicht ein wenig die Stirn: Der Schauspieler Sebastian Stan sieht ganz und gar nicht aus wie Donald Trump mit seiner krustigen, orangenen Haut und den verkniffenen Augen. Außer der fragilen Föhnfrisur und der Trumpschen Schnute ist der Milliardär aus dem echten Leben in der Figur auf der Leinwand kaum auszumachen. Später im Film ändert sich das, als würde Stan nach und nach zum Original gemorpht werden. Und da zeigt sich: Es liegt gar nicht an einer falschen Besetzung, die Trump in dem jungen Mann vom Anfang nicht wirklich erkennbar macht. Es liegt nicht am Aussehen. Es liegt am Charakter. Ali Abassis junger Trump trägt nämlich noch menschliche Züge. Das ist das, was so ungewohnt wirkt. Aber wie gesagt, das ändert sich.

Ausgangspunkt dafür ist Trumps Begegnung mit seinem späteren Mentor Roy Cohn. Cohn ist ein erfolgreicher, intriganter und skrupelloser Anwalt der New Yorker Unterwelt und zählt Mafia-Gangster wie Fat Tony zu seinen Klienten. Es schaudert einen, wenn man Cohn hört, wie er Trump seine drei Regeln zum Erfolg einbläut: Erstens: immer attackieren. Zweitens: alles leugnen. Drittens: Behaupte immer, du würdest gewinnen, selbst wenn du verlierst. Diese drei Regeln finden sich im echten Buch The Art of the Deal (1987) vom echten Donald Trump wieder und nicht nur Abassi stellte fest, dass der echte Trump seine ganze politische Laufbahn mit diesen drei Regeln bestreitet.

Jeremy Strong spielt den Anwalt Cohn mit steifem, reglosem Gesicht, so kalt, dass es sicher keine Eistruhen für die Diet Cokes am Filmset brauchte. Aber hinter dieser Maske steckt, wie so oft, ein Geheimnis. Cohn ist homosexuell und lebt seine Sexualität im Verborgenen aus, leugnet sie allerdings mit homophoben Sprüchen in der Öffentlichkeit.   

Der Anwalt behält in allem, was er tut, die Kontrolle. Sinnbildlich dafür ist ein Keller voller Tonaufnahmegeräte, mit denen er Klientengespräche aufzeichnet, um sie, falls sie einmal auf der Gegenseite stehen sollten, zu erpressen. Diese Kontrolle kommt Cohn abhanden, als er krank wird. Zwar leugnet er, dass es sich um AIDS handelt, jedoch sprechen alle Zeichen dafür. Mit diesem Kontrollverlust fängt die Figur Cohn an aufzubrechen.

Zu diesem Zeitpunkt ist Trump schon in anderen Sphären unterwegs. Er hat es mit Cohns Hilfe durch Intrigen und Erpressungen in die High Society geschafft. Oben angekommen, lässt er seinen erkrankten Mentor rücksichtlos fallen. Die Entwicklung der beiden Figuren ist genau gegenläufig. Als würden Cohn und Trump durch einen dünnen Schlauch im Arm verbunden, sickert die Kaltblütigkeit Cohns langsam aus ihm heraus und in Trumps Venen hinein. Trump wird der arrogante, narzisstische, skrupellose Lügner, den man heute kennt und wiedererkennt, während Cohn immer verwundbarer wird. Was Trumps Figur an Tiefe verliert, gewinnt Cohn hinzu.

Roy Cohn, auch Mr Manipulator genannt, gab es wirklich und auch seine Erkrankung, die er bis zu seinem Tod leugnete. Wie bei so vielen mit Fiktion angereicherten Biopics verbringt man nach Verlassen des Kinosaals einige Googlesuchen damit herauszufinden, was hier real passiert ist und was nur dazu gedichtet wurde. So auch bei der im Film gezeigten Vergewaltigung Trumps an seiner Frau Ivana. Die echte Ivana hat zwar in den Scheidungsprozessen 1990 Andeutungen über eine Vergewaltigung gemacht, allerdings wollte sie sie nicht „strafrechtlich“ verstanden wissen, sodass es nie zu einem Urteil kam. Trotzdem ist es erstaunlich, wie viel in diesem Film tatsächlich so passiert ist, wie nah sich Ali Abassi an der Wirklichkeit bewegt. Keine Science-Fiction, kein Fantasy.

Spannend ist auch, dass es im Film neben den Charakterentwicklungen eine ästhetische Entwicklung gibt, die sich an der erzählten Zeit orientiert. Kameramann Kasper Tuxen markiert die Jahrzehnte subtil im 4:3-Format, in dem er sich am Look der Zeit orientiert. Sehen die 70er noch aus wie auf dickem analogem Film gedreht, ähneln die 80er und 90er mehr der VHS-Optik, mit den rosa Schlieren im Bild. Die Kulissen und Bildausschnitte sind dabei an trashige Fernsehproduktionen angelehnt, als Reminiszenz an die titelgebende Fernseh-Reality Show The Apprentice (2004-20017), in der der echte Donald Trump junge Unternehmer castete und sich selbst als Business-Mastermind inszenierte. Diese visuellen Elemente führen zu einer ausgefallenen Optik, die großen Spaß macht.

Es ist der spätere, ältere Trump, den man wiedererkennt. Der jeden moralischen Sinn, jede echte Nähe verloren hat. Ali Abassi zeigt Trump, wie er als Mensch, dessen Gefühle man halbwegs nachvollziehen kann, in eine goldene, 58 Stockwerke hohe Umkleidekabine geht und zur anderen Seite als nicht greifbares, rücksichtsloses Monster herauskommt. Auch wenn es fiktive Stellen gibt, die sich nicht direkt erschließen und man so Gefahr läuft, alles für harte Fakten zu halten, ist der Kern der Handlung eine Charakterstudie Trumps, die sicher nicht weit von der Wahrheit entfernt ist. Kein Wunder, dass Trump die Veröffentlichung des Films im Mai 2024 rechtlich verhindern wollte.


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