
Stillsein ist normiert. Die englischsprachige Koproduktion „Talking about silence“ bringt Schweigen fragmentarisch auf die Bühne des Theater Strahls im Rahmen des Augenblick Mal!-Festival in Berlin. Und fordert zum Sprechen auf.
Von Hannah Kämpfer
Knacken, pfeifen, rascheln, das sanfte Zirpen der Grillen. „Talking about Silence“ ist nicht still. Zwei Stahlstangengerüste mit Netzen, die an Fußballtore erinnern. Drahtfenster und heruntergekommene Gartentüren, teils von Kreisen durchzogen, stehen spärlich geordnet und schaffen einen verlassenen Ort, der von flüsternden Stimmen durchzogen wird.
Die englischsprachige Koproduktion des Ishyo Arts Centres in Kigali/Ruanda und des HELIOS Theaters in Hamm/Deutschland ist eine von zehn preisgekrönten Inszenierungen des Augenblick Mal!-Festivals für Kinder- und Jugendtheater in Berlin. Inszeniert von Carole Karemera und Barbara Kölling, erzählt das sechsköpfige Ensemble nach dem Text von Steffen Moor abwechselnd persönliche Geschichten des Schweigens. In fragmentarischen Erinnerungen verbalisieren sie die Stille um Traumata, Armut, Verlust, Flucht, Krieg, Revolution und die Notwendigkeit des Sprechens. Die Fragmente werden vom zersplitterten Bühnenbild materialisiert, wie eine offene Wunde, die es zu füllen gilt.

„At first, there was silence.“ Aus der behutsamen Stille vor der Geburt in die Stille hineingeboren, denn Stillsein ist normiert. In Bruchstücken erzählen die sechs Protagonist*innen von ihren bedrückenden Erfahrungen mit Stille. Eine Tante, die niemals spricht, immer schweigt und als Reaktion der Nichte nur einen fortwährenden Strudel des Selbstzweifels hervorruft: Was denkt sie? Was denkt sie über mich? Warum redet sie nicht mit mir? Was ist falsch mit mir? Finanzielle Nöte, die nicht an die Öffentlichkeit der Nachbarschaft geraten dürfen, denn Reden bedeutet Bloßstellung. Mit Geschwistern und Vater schweigend im Auto sitzen und ironisch zum Song „Dont worry be happy“ den Tod der verstorbenen Mutter wegignorieren. Die bedrückende Stille wird zum Elefanten im Auto. Oder unbeantwortete Telefonanrufe einer Tochter an ihren Vater, anfangs noch peinlich betreten übernimmt die harte Ablehnung den Raum.
Dann Worte, Schreie und Streit eines Paares durch die Wände hören, gefolgt von Stille. Was in dieser Stille wohl passiert, wird mit kindlicher Naivität gefragt, die dennoch offenlässt, ob es sich um erotische Versöhnung oder Partnerschaftsgewalt handelt. Eine Frage, die man besser hätte beantwortet sollen, denn es ist keine Frage, die in einer Grauzone bleiben darf. Die Fragmente wirken wie ein Mosaik, in dem sich die einzelnen Teile nicht in eines setzen wollen oder ein Puzzle, dem Teile fehlen, denn die Geschichten sind zwar persönlich, aber zu offen erzählt. So auch als nachdrückliches Trommeln, Hämmern und Pfeifen aus dem Stahlstangengerüst dringen und sich die Kraft des Sprechens in dem einzigen Wort „RESIST“ vereint. Da stellt sich die Frage, gegen was? Es reißt eine politische Ebene an, eine Revolution, einen Bürgerkrieg, doch völlig aus dem Kontext gerissen, sodass alle Kriegserfahrungen und Genozide gleichgeschaltet werden. Der Versuch, die Geschichten übertragbar zu machen und ihnen Identifikationspotential einzuverleiben, scheitert an sich selbst.
Stille ist Unwissen, ist unbeantwortete Fragen, kleinreden, unsichtbar machen, Wahrheiten verdecken und legt zugleich die inneren Sorgen und Wunden offen. Wer hat die Macht zu sprechen und wann? Wer bringt dich zum Schweigen? „Talking about Silence“ ermutigt zum Sprechen, insbesondere über Traumata, zum Fragen stellen, Schweigen brechen, gemeinsam laut werden und für eine gerechtes Leben kämpfen. Aber all das braucht Kontext!