
Wie weibliche Körper auf dem roten Teppich in Cannes tabuisiert werden
Von Hannah Kämpfer
Gestriegelt und gebügelt und bloß nicht zu viel Haut! So lautet die neue Regelung der jährlich stattfindenden Filmfestspiele in Cannes: „Aus Gründen des Anstands ist Nacktheit auf dem roten Teppich sowie in allen anderen Bereichen des Festivals verboten“. Auch verboten sind zu große Schleppen. Doch wieso sollte einen die Kleiderordnung eines Filmfestivals interessieren? Weil es politisch ist. Denn mit dieser Regel sieht sich das Festival im Recht, jenen den Zutritt zu verwehren, die sich nicht an diese Kleiderordnung halten.
Mit Nacktheit ist dabei nicht gemeint, völlig nackt über den roten Teppich zu laufen. Stattdessen sind alle Outfits verboten, die zu viel Haut zeigen: zu schulterfrei, ein langer Beinschlitz, ein offener Rücken oder zu durchsichtig. Alles Outfitelemente, die oftmals von Frauen auf dem roten Teppich getragen werden. Mit dieser Kleiderordnung wird nicht nur Nacktheit tabuisiert, sondern vor allem der weibliche Körper. Was heißt also Anstand? Anstand für wen? Um diejenigen, die sich von weiblichen Körpern abgelenkt, erotisiert fühlen zu schützen? Anstand meint hier, dass Frauen sexualisiert werden und diese Sexualisierung ihnen zur Schuld gemacht wird. Es geht darum, weibliche Körper zu kontrollieren, sie mit Scham zu überstülpen und ihre Selbstschau einzuschränken. Damit ist nicht das Outfit das Problem, sondern der Körper.
Das Festival wählt damit einen konservativen Versuch, den Trendbewegungen auf dem roten Teppich zu entgegnen, in denen Frauen sich in durchsichtigen, körperbetonten oder knappen Kleidern inszenieren. Dabei sind es genau diese Outfits, die Frauen erlauben, sich selbstausgewählt zu kleiden, ihre Körper zu ästhetisieren und damit zu entsexualisieren und enttabuisieren. Gleichzeitig tut man so, als wäre es der Normallfall, viel Haut zu zeigen? Schaut man sich die letzten Auftritte auf dem roten Teppich an, ist da alles dabei. Oder meint Anstand, dass bei einem Filmfestival die Filme und nicht die Outfits im Vordergrund stehen sollten? Ob mit oder wenig Haut, die Kleidung auf den roten Teppichen dieser Welt ist immer eine Kategorie für sich, eine Form der Kunst, Selbstschau und Zelebration. Die Filme werden ja dennoch gezeigt und diskutiert. Sollte ein Filmfestival, das für Kunstfreiheit steht, diese nicht ganzheitlich leben und somit auch Outfit-Freiheit gewähren? Das meint nicht, Outfits, die den gesamten Körper bedecken, zu schmälern. Es geht darum, jede Person das tragen zu lassen, was sie will – vor allem Frauen. Und wenn es ein Kleid mit hohem Beinschlitz, ein durchsichtiges Oberteil oder eine kurze Hose ist. Denn mit Anstand hat das Outfit auf einem Filmfestival rein gar nichts zu tun.