Make it „schillernder“


„Mariah Stuart Heads will roll“ am Theater der jungen Welt Leipzig, mit Anna-Lena Zühlke (l.) und Josephine Schumann. Foto: Tom Schulze

Drama, Glitzer und Gen-Z-Talk – Juli Mahid Carlys „Mariah Stuart Heads will roll“ am Theater der jungen Welt Leipzig

Von Lora Ganeva

Prom 1587

Neonlicht, Glitzerkleider und pubertierende, nach Schweiß riechende Teenager, die auf ihrem Abschlussball aus roten Bier-Pong-Bechern endlich auch offiziell vor den Lehrern hemmungslos Alkohol trinken dürfen. „Schiller Swift würde sagen, diese Party wird famous“, um es in den Worten von Maria, pardon, Mariah, zu formulieren. Denn auf einer zeitgemäßen Abschlussparty gibt es keine Maria, da gibt es Mariah ohne h, aber in english, please. Da gibt es auch kein Schiller-Gymnasium, nur das Schiller-Swift-Gymnasium und getanzt wird natürlich zu – wie könnte es anders sein – Taylor Swift und Billie Eilish. Es ist ja schließlich Brat Summer. Aber bevor die Sommerferien losgehen, erst mal back to school.

Schiller – but make it „schillernder“

Juli Mahid Carly verlegt Schillers Drama Maria Stuart an die Highschool und zeigt: Der Kampf um die Abschlusskrone ist eine Frage von Leben und Tod. Also literaly: Tod. Schließlich verspricht der Untertitel: Heads will roll.” Aber damit es so weit kommt, muss das Highschool-Imperium von Elisadieerste (gespielt von Millie Vikanis) erstmal ins Wanken geraten. Und wer könnte der Perlendiadem tragenden, die Haare streng im Dutt gebundenen Tochter des Schulleiters und Klassenbesten am ehesten die Stirn bieten? Die schottische Austauschschülerin Mariah (Josephine Schumann) natürlich – zufälligerweise Elisas Cousine. Sie ist diese neue Schülerin, die man selbst immer sein wollte: schwarz-rote Strumpfhose, zerzauster Lockenkopf, Lederjacke und Lederboots. Mariah sieht aus, als hätte sie Avril Lavigne und Schiller zu ihren Stilikonen erklärt. Selbst als Mortimer Quarterbeck (Benjamin Vinnen) ihr hinter dem Rücken seiner Geliebten Elisa den Hof machen will, entgegnet Stuart unbeeindruckt und mit wegwerfender Handbewegung: „Golden-Retriever-Fuckboys wie dich kenne ich.“

„Like a virgin … kissed for the very first time“

Damit sich die Zuschauer:innen, vom Alter her oft selbst Schüler:innen, heutzutage nicht mehr die zehnminütige Playmobil-Zusammenfassung des Klassikers auf YouTube anschauen müssen, baut Juli Maid Carly in das Highschool-Drama noch eine andere Erzählebene ein: Die Klassenlehrerin Mme Aubergine de Baguette (Sonia Abril Romero) studiert mit ihren Schüler:innen ein Musical ein – die Zehn-Minuten-Version von Schillers Swift Maria Stuart. Eine Geschichte in der Geschichte. Der Klassiker wird mit radikaler Konsequenz ins Heute übersetzt: Gen-Z-Sprache, Pop-Referenzen, Genderfragen – check. Graf Leicester wird zu Miss Lorde Läster, Henry VIII. zu Harry Styles. Elisabeths Jungfräulichkeit wird als Asexualität neu verhandelt und Marias Geliebte sind nicht ermordet worden, sondern auf Love Island im Exil. Elisas Masern werden durch Teenie-Hautprobleme ersetzt, und nach den fiesen Sprüchen ihrer Cousine flüchtet sich Elisa auf das mit Edding beschmierte Schulklo.

Showtime, Baby!

Von Madam Aubergine de Baguette wird Elisa schlussendlich gezwungen, wie in Schillers Original ihr Urteil über Mariah zu fällen. Und dann geht alles ganz schnell, schließlich heißt es: Showtime! Spindtür auf, Kopf raus und, bitte schön, das Baguette, das bis dato an Madam Aubergine de Baguettes Seite als Modeaccessoire fungiert hat, wird in Elisas Hand zur Hinrichtungswaffe: Kopf ab. Wenig Blut, aber gleich drei Plastikköpfe, die aus dem Spind springen und unter die Sitze des Publikums rollen. Stückversprechen erfüllt: „Heads will roll.“ Da vergisst man glatt die Dramatik des Originals, in dem Friedrich Schiller bekanntlich politische Machtkämpfe sezierte. Aber das ist der Preis, wenn man den Konflikt in einen privaten Rahmen versetzt.

Happy End, aber doch ein bisschen zu viel?

Auch Elisa ist indes nur ein Mensch, die Tat lässt sie nicht kalt. Also ab in den Safe Space und noch einmal in der Klokabine über das Geschehene nachdenken. Ihr emotionales Ringen wird mittels Live-Kamera auf Leinwände projiziert – mitten im Raum und gleichzeitig klaustrophobisch nah. Und siehe da: Da ertönt Mariahs coole Stimme durch den Raum, wie immer mit einem lockeren Spruch auf den Lippen, um Cousinchen zu trösten.

Nun kann die endgültige Bitch-Fight-Versöhnung kommen: Elfbar teilen, rauchen und gemeinsam gegen das Patriarchat verbünden, denn eine „Trad-Wife“, wie ursprünglich von Harry Styles vorgesehen, will auch Elisa nicht werden. „Wir sind die Queens, die nicht auf ihr Aussehen reduziert werden wollen“, heißt es. Dazu Shirin Davids Hit „Bauch, Beine, Po“, die Waffen einer Frau. Nun ja, der heutige Feminismus ist offenbar auch nicht immer so konsequent. Die Inszenierung aber ist es. Nur hätte am Schluss auch die politische Message gereicht. Natürlich gehört zu einer guten Teenage-Romance auch das Happy End. Dennoch wirkt dieses im Gegensatz zur tiefgründigeren Message der Frauen etwas zu banal. Gerade gen Ende hätte man sich von Juli Maid Carlys klaren Adaptions-Ideen und der dichten Erzählweise noch einmal mehr gewünscht. Nichtsdestotrotz zeigt die Inszenierung, dass sich Mut und Stringenz auszahlen. Wo der ein oder andere Millennial den ein oder anderen Witz nicht versteht, krümmen sich die GenZ’s nur so vor Lachen. Und das Publikum mit seinem extrem jungen Altersdurchschnitt beweist: „Maria Stuart“ von Friedrich Schiller funktioniert hervorragend als Netflix-Highschool-Drama.

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