Film ab für Feminismus


Die norwegische Regisseurin und Schauspielerin Vibeke Løkkeberg beim „Frauenfilmseminar“ 1973 in Berlin. Foto: bpk / Abisag Tüllmann

Berlinale: Der Weg hierher war lang. Mehr als 50 Jahre lang galt das Material des ersten feministischen Filmseminars in Berlin als verschollen. Nun sind die Aufnahmen wieder aufgetaucht. „The Long Road to the Directors Chair“ heißt die entstandene Dokumentation von Vibeke Løkkeberg.

Von Ella Rendtorff

Es ist viel los vor dem gusseisernen Eingangstor des alten Arsenal-Kinos in Berlin-Schöneberg. Lachen, angeregte Unterhaltungen, flüchtige Blicke und bewegte Schritte auf der Straße zwischen der gegenüberliegenden Grundschule an der Welserstraße und dem Kino. Drinnen vermischen sich Rauchschwaden mit Gesprächsfetzen, an den Wänden hängen Collagen, politische Cartoons und Filmplakate. 250 Frauen aus der Film- und Medienbranche haben hier zusammengefunden, um sich über Machtstrukturen, Arbeitsbedingungen und die Situation der internationalen Frauenbewegung auszutauschen. Sie kommen aus ganz Europa, tragen Stiefel und Schlaghosen, rauchen, diskutieren und wollen vor allem eines: Gleichberechtigung. Es ist das Jahr 1973 – die Geburtsstunde des ersten Internationalen Frauenfilmseminars in West-Berlin.

Selbstbestimmte Sexualität, Frauenrechte und gesellschaftliche Missstände sind die Themen der insgesamt 45 feministischen Filme, die über einen Zeitraum von vier Tagen hinweg im Arsenal gezeigt werden. Einer davon: „Abortion“ von Vibeke Løkkeberg, der damals 28-jährigen norwegischen Filmemacherin. Die Veranstalterinnen Helke Sander und Claudia von Alemann hatten Løkkeberg aber nicht nur wegen ihres Films eingeladen, sondern auch als Journalistin. In Interview-Gesprächen sollte sie dokumentieren, wie die Teilnehmerinnen ihren Berufsalltag als Frauen in einer männerdominierten Branche erleben. Ursprünglich als Produktion für den norwegischen Rundfunk geplant, wurden die Aufnahmen allerdings nie ausgestrahlt – Kritik an der eigenen Branche schien nicht ins Programm zu passen. Der Sender lehnte Løkkebergs Material ab, kurz darauf verschwand es von der Bildfläche.

Knapp 50 Jahre später tauchen die verloren geglaubten Aufnahmen in der norwegischen Nationalbibliothek wieder auf. Vibeke Løkkeberg sichtet ihr unvollendetes Projekt und beschließt, es fortzusetzen – mit Erfolg: Als kurz nach der Restaurierung des Bildmaterials auch die zugehörigen Tonspuren gefunden werden, stellt Løkkeberg den Film so fertig, wie er damals hätte aussehen sollen. Als Retrospektive feiert „The Long Road to the Directors Chair“ in diesem Jahr nun Weltpremiere als Eröffnungsfilm des Berlinale Forums.

Die Kamera schwenkt über die Menschenmenge, fängt das Treiben im Arsenal-Kino mit flüchtigen Szenen in Schwarz-Weiß ein. Cut, neue Einstellung: Vibeke Løkkeberg im Gespräch mit ihren Interviewpartnerinnen. Immer wieder bricht die 16-Millimeter-Filmrolle ab, auf schwarzer Leinwand läuft der Ton weiter: „Beweisen, beweisen, beweisen“ müssten sie sich, hört man Filmemacherinnen und Journalistinnen im Konsens erzählen. Akzeptanz und Anerkennung für ihre Arbeit zu erhalten und dabei nicht auf ihr Geschlecht reduziert zu werden, sei ein harter Kampf in einer ohnehin schon Ellenbogen-gesteuerten, männlich dominierten Branche. Auch Alice Schwarzer als führendes Gesicht der damaligen deutschen Frauenbewegung kommt in Løkkebergs Zusammenschnitt immer wieder zu Wort: „Wenn man als Frau anders arbeiten will als Männer, weniger autoritär, wird man als dumm und unfähig abgestempelt“.

Während Schwarzers binäres Verständnis von Geschlecht in die Siebziger zurückfällt, sind die Kernthemen, die auf dem Frauenfilmseminar zur Sprache kommen, erschreckend gegenwärtig. Wie patriarchal die Strukturen der Filmbranche bis heute noch sind, spiegelt nicht nur die anhaltende Debatte um #MeToo, sondern auch die Berlinale selbst: Trotz wachsender Bemühungen um Gleichstellung sind in der Kategorie „Wettbewerb“ auch in diesem Jahr 60 Prozent der gezeigten Filme von Männern gemacht. Der Weg hin zu einer gleichberechtigten Film- und Medienbranche bleibt auch heute noch steinig und mühsam zu bestreiten. Umso erfrischender ist es, dass mit Tricia Tuttle als Leiterin der Berlinale 2025 zum ersten Mal eine Frau allein an der Spitze des Filmfestivals steht. Das zeigt: Wo Widerstand ist, tritt auch Veränderung ein. Und: Auf der „Long Road to the Directors Chair“ sind die Weichen gestellt – für eine gleichberechtigte und diverse Filmbranche.


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