Eine noch kürzere Geschichte der Menschheit


Szene aus „Step“. Foto: Yair Meyuhas

Die Geschichte der Menschheit in einem theatralen Schnelldurchlauf: Beim Figurentheaterfestival „Wunder“ in München kommt unsere Spezies nicht besonders gut weg.

Von Rike Ohlerich

Am Anfang war der Mensch. Und am Ende? Ein Staubsaugerroboter. So zumindest zeigt es das israelische Itim Ensemble, das im Rahmen des internationalen Figurentheaterfestivals „Wunder.“ zum ersten Mal ihr performatives Stück „Step“ auf die Bühne der Schauburg in München brachte. Während der 55-minütigen Performance werden diverse Epochen der Menschheitsgeschichte humorvoll genauer unter die Lupe beziehungsweise die Kameralinse genommen.

Gott schuf die Welt in sechs Tagen. Am ersten Tag schuf er das Licht, am zweiten Tag den Himmel, am dritten… Ach nein, das war etwas anderes, in diesem Stück wird eine alternative Evolutionsgeschichte erzählt. Diese Geschichte beginnt mit einem großen Karton auf der Bühne, auf den das Licht gerichtet ist. Sie beginnt mit der Aufforderung des Erzählers, alle Probleme der Welt vorerst beiseitezulassen. Lustig ist, dass die Aufführung genau in diesen Problemen ihr Ende findet – oder ist es unser Ende, das Ende der Menschheit? In dem Karton befindet sich ein Skelett, geführt wird es von den Performer*innen, und obwohl man anfangs denken könnte, es habe eine große Bedeutung, wird diese Annahme im Verlaufe der Aufführung zunehmend unsicher.

Basierend auf Yuval Noah Hararis Bestseller „Sapiens. Eine kurze Geschichte der Menschheit“ wird auf der Bühne jede Ära der Menschheit im mal stummen, mal dynamischen Schnelldurchlauf präsentiert (Regie: Zvi Sahar), während ein Erzähler (in München: Janosch Fries) das Publikum an die Hand nimmt und auch hin und wieder selbst mit den Performer*innen interagiert. Ob Eiszeit, Entdeckung des Feuers, Fortpflanzung oder auch Smartphones und Digitalisierung, jede menschliche Ära wird auf der Bühne kurzzeitig durchlebt und das mit einem gewissen Schalk, einer Unverfrorenheit, sodass man sich als Mensch fragt: Sind wir wirklich so schlimm? Die Antwort lautet: ja. Auch wenn wir es oft nicht wahrhaben wollen, entwickelt sich unsere Welt, die Gesellschaft in eine digitalisierte und optimierte Version ihrer selbst. Auch der Hang zum Individualismus und dem dazugehörigen Egoismus der Menschheit wird auf der Bühne thematisiert. Trotz der scharfen Gesellschaftskritik schaffen es die Performer*innen und der Erzähler durch eine humorvolle und scharfsinnige Betrachtung der Thematiken immer wieder, das Publikum zum Lachen zu bringen. Vielleicht ist es gerade das, was uns als Gesellschaft ausmacht: unsere Ignoranz und die Fähigkeit, über uns selbst lachen zu können, Dinge mit Humor zu nehmen, nie die Hoffnung zu verlieren.

Unterstützt wird die performative Inszenierung von verschiedenen Klängen, mal ist es das Rauschen der Bäume im Wald, mal das Flattern von aus Papier gebastelten Vögel, mal ein wummernder Bass, der die dynamischen Vorgänge auf der Bühne untermalt. Das Publikum wird in den Bann der Geräuschkulisse gezogen, während der Erzähler immer tiefer in die verschiedenen Steps der Menschheit eintaucht. Faszinierend ist auch das Bühnenbild, das während der Inszenierung immer wieder Überraschungen bereithält, wie zum Beispiel eine dem Anschein nach weiße Fußleiste auf dem Bühnenboden, die sich dann per Zoom-Kameraaufnahme als eine lange Reihe kleiner Menschen entpuppt, die alle gleich aussehen, wie von einem 3D-Drucker gedruckt. Da kommt man sich als Mensch auf einmal wieder ganz klein vor, obwohl wir doch, laut Erzähler, die „Herrscher der Welt, Götter“ sind. Trotzdem hat er natürlich Recht, es gibt kaum ein gefährlicheres Raubtier als den Menschen. Und genau das wird uns während dieser kurzen Geschichte der Menschheit vor Augen geführt. Um noch einmal mit den Worten des Erzählers zu sprechen: „Gibt es etwas Gefährlicheres als Götter, die nicht wissen, was sie wollen?“


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