Kinga Ötvös stoppt den mobilen Theatersaal. Foto: Judith Buss
Münchener Biennale: „Bitte anschallen“, heißt es in Nico Sauers Personenbeförderungs-Musiktheater „RÜBER“. Denn die Inszenierung findet in einem mobilen Theatersaal statt.
Von Nora Gourgues
Besser hätte das Motto „On the way“ der diesjährigen Münchener Biennale nicht umgesetzt werden können. In „RÜBER“, einem Personenbeförderungs-Musiktheater, ist man wortwörtlich „On the way“. Der junge, selbst aus der Stadt kommende Komponist und Performancekünstler Nico Sauer kreiert ein unvergessliches Erlebnis, welches sich wie ein Fiebertraum anfühlt.
Exklusiver könnten die Sitzplätze nicht sein, es gibt nämlich nur drei pro Fahrt. Die beschränken sich auf die Rückbank der Luxuslimousine, welche die Zuschauer*innen im 45-Minuten-Takt im Parkhaus des Gasteigs abholt. Ganz unversehrt sieht das Auto da aber nicht mehr aus, übersät mit Spritzern aus gelbem Schleim und zwei großen Antennen auf dem Dach, wird es von einem Chauffeur vorgefahren. Eng aneinandergepresst quetscht man sich auf die Rückbank, und dann geht die Fahrt auch schon los.
Eine ruhige Stimme aus dem Off weist das Publikum ein. „Bitte Anschnallen“, und das Safeword, falls einem dann doch alles zu viel werden sollte, lautet: „Get me out this fucking car“. Was einen bei dieser Performance erwartet, weiß man im Vorhinein nicht. Man weiß es eigentlich die ganze Zeit nicht. Das Auto fädelt sich in den Münchner Feierabendverkehr ein. Wie auf einer ganz normalen Uberfahrt bahnt sich das Auto seinen Weg durch kleine Straßen, an Baustellen vorbei in Richtung Innenstadt. Gespannt schauen alle aus dem Fenster. Auf einmal ertönt ein lautes Geräusch im Inneren des Fahrzeugs, dass sich nicht direkt zuordnen lässt. Hinter dem Auto fährt ein Mann auf einem E-Scooter an uns vorbei. Auf seinem Rücken ein typischer Lieferando Rucksack in Gelb, in seiner Hand ein Mikrofon, in das er hineinspricht. Er rauscht davon, fährt Schlangenlinien auf der Straße und ist so schnell weg, wie er gekommen ist. Das Auto fährt langsam weiter. Das nächste Geräusch ertönt. Eine Frau an der Straßenecke spielt Klarinette. Sie ist zehn Meter von dem Auto entfernt, doch der Klang wird durch ein Soundsystem direkt in das Innere des Fahrzeugs geleitet. Es folgen weitere Geräusche, Töne und Klänge. Vor Anspannung steif gewordene Hälse recken sich in alle Richtungen, um das nächste Ereignis zu erspähen.
Die unterschiedlichen Ebenen dieser Performance vermischen sich. Es ist schwer zu unterscheiden, wer dazugehört und wer nicht. Der mobile Theatersaal fügt sich ein in das Stadtgetümmel und Straßengeschehen. Passanten schauen verdutzt, zücken das Handy, um zu filmen. Immer wieder zeigen sie auf den Wagen. Der Verkehr und die Umgebung werden Teil des Erlebnisses. Wie in einer kleinen Blase nimmt man wahr, was außen passiert. Die Akustik im Wageninneren bildet das Außen plastisch ab. Es entsteht eine Paralleldimension zwischen Innenraum und Außenwelt. Worum es wirklich geht, weiß man nicht. Offenbar um eine geklaute Perücke. Der vermeintliche Dieb (meist mit dem E-Scooter unterwegs) wird von einem schwarzen Van und zwei gelben Motorrollern verfolgt.
Mehr Theater als Musik. Die Musik gerät in den Hintergrund. In einigen Momenten dringt sie zwar hervor, doch meistens liegt der Fokus auf dem Geschehen um einen herum. Die Geräusche und die Klänge werden zur Nebensache. Selbst als die Klarinettenspielerin sich auf den Beifahrersitz setzt und dort ihr Solo spielt, passiert drumherum so viel, dass die Aufmerksamkeit entgleitet. Es geht eher darum, wie die Geräusche im Inneren des Wagens klingen und wie sie im Außen auf der Straße entstehen und aussehen.
Wie bei einer klassischen Uberfahrt werden wir am Ende gefragt, wie viel Sterne wir dem Fahrer und der Fahrt geben. Fünf von fünf für dieses Erlebnis der anderen Art!