„Shall I build a Dam“ von Kai Kobayashi (im Hintergrund) als abstraktes Musiktheaterstück über die Schönheit des Wassers. Mit (v. l.) Chiara Feldmann, Richard Valitutto, Simone Aughterlony, Noa Frenkel, und Kristin Maria Pientka. Foto: Judith Buss
Münchener Biennale: „Shall I build a Dam“ ist ein vor allem visuell beeindruckender, schauriger und doch verspielter Abend, dessen Reiz gerade darin liegt, dass Dämme brechen.
Von Leon Frei
Der Hund hat die Noten gefressen, und die Posaune liegt besoffen in der Ecke. Bei der diesjährigen Münchener Biennale inszeniert Simone Aughterlony die Musik von Kai Kobayashi als nasses, abstraktes Musiktheaterstück über das Element Wasser. „Shall I build a Dam“ ist ein vor allem visuell beeindruckender, schauriger und doch verspielter Abend, bei dem die Grenzen, sogar die des Theaterraums, tatsächlich fließend zu sein scheinen.
Denn genau genommen beginnt die Beschäftigung mit Wasser schon vor dem Betreten des Saales. Auf dem alten, mit Rissen durchzogenen Beton des Kreativquartiers versickern gerade die Überreste der Regenmassen, die sich die letzten Tage über Süddeutschland niedergeschlagen haben.
Im Gebäude nebenan probt ein Orchester. Es scheint noch eine recht frühe Probe zu sein, immerhin lässt sich zwischen den leicht schiefsitzenden Tönen Dick Dales „Nitro“ ausmachen, der Surf-Rock-Song schlechthin. Und so befindet man sich schon beim Herumstehen vor den noch geschlossenen Türen in einem Spannungsfeld des Wassers. Als würde man in das Thema eingesaugt werden.
„Shall I build a Dam“ ist allerdings, gottseidank, weit entfernt von solchen Konkretionen wie ‚Surfen‘ oder ‚Hochwasser‘. Es ist ein multisensorisches Erlebnis, das immer dann eine Kehrtwende macht, wenn es zu eindeutig wird.
Als es schließlich nach drinnen geht, riecht es nach Turnhalle und Schwimmbad. Kaltes, blaues Licht wabert von den weißen Wänden. Der große Raum ist in vier gleichgroße Kreise aus blauen Stühlen unterteilt. Dazwischen bewegen sich die Spieler in futuristischer Kleidung, in Neoprenanzügen samt angedeuteter Krawatte oder langen, beigen, halbdurchsichtigen Gewändern. Verschwenderisch versucht der eine erfolglos seine Posaune mit der Wasserflasche abzufüllen, die andere mit ihren Händen ein wenig Wasser zu einem Zuschauer zu tragen. Und in der Mitte schlittert einer mit einem großen, schwitzenden Eisquader über den schwarzen Tanzboden. Über dem exzesshaften Gewusel schweben viele große, durchsichtige Plastikrohre. Wie riesige Gedärme hängen sie über den Zuschauern. Oder wie Lianen im Dschungel. Manche reichen bis auf den Boden und hinterlassen kleine Pfützen.
Die Elemente, die beim Einlass fast gierig bewundert werden müssen, werden alle noch eine Rolle spielen.
Die Eisblöcke dienen als Sitzgelegenheit und als Schlitten; mal werden sie mit Hammer und Meißel zu Kunstwerken geschlagen und ihre Splitter schießen den umliegenden Zuschauern entgegen. Am Ende werden die verwundeten Blöcke zu Reflexionsobjekten. Das Licht wirft sich ihnen entgegen, wird gebrochen und träumerisch im ganzen Raum verteilt, während die Rohre an der Decke zum Bild einer wasserverschmutzenden Industrie werden – am Ende sprudelt durch sie im nur diffus beleuchteten Raum feine fluoreszierende Flüssigkeit und vermischt sich langsam mit klarem Wasser.
So fließend wie die Bedeutung der Elemente an sich, ist auch die gesamte Raumstimmung – mal düster, mal friedlich, mal spirituell – die sich mit den Musikstücken nach und nach mitverändert, ja ‚transformiert‘. Joseph Wegmanns Bühne beeindruckt durch Einfallsreichtum. Sein Licht ist spektakulär.
Dass gerade die Musik von Kai Kobayashi dasjenige ist, das bei all den Hinguckern etwas unterzugehen scheint, liegt auch daran, dass sie sich immer wieder der gleichen Mittel bedient, während das drumherum sich ständig weiterentwickelt. Musikalisch wie textlich ist das Hauptwerkzeug: die Schere. Die Stücke wirken wie Fragmente, als wären die meisten Töne auf dem Notenblatt einfach weggegammelt. Oder vom Hund gefressen worden. Mal hier ein lautes Dröhnen von der Kontrabassklarinette wie das Signal eines Schiffsdampfers, mal dort eine kleine schiefe Tonleiter vom Piano. Es klingt ein wenig wie der Soundtrack eins Krimi-Thrillers, wenn die Protagonistin bei Nacht in der alten, verlassenen Scheune Nachforschungen anstellt und plötzlich auch noch ihre Taschenlampe ausgeht.
Beim Text scheinen die Möglichkeiten mit der Schere etwas zahlreicher gewesen zu sein. Von ihm bleiben manchmal nur Wortfetzen und Satzphrasen, die dann kanonisch von den Schauspielern durch den Raum gesprochen werden. „Tss. Pfff. Kkkkt. Ffff.“ Einmal sitzen die beiden Sängerinnen, Noa Frenkel und Chiara Annabelle Feldmann, mittig auf zwei Eisklötzen und singen in unterschiedlichem Tempo vom gleichen, endlos lang scheinenden Notenzettel ab. Allerdings nur Vokale. „Oaaaaaaauuuuuuaaaaaaooorgh“. Was dann manchmal an den blauen Fisch Dory aus dem Film „Findet Nemo“ und ihr verborgenes Talent des Walisch-Sprechens erinnert.
Zum Ausklang werden Gläser mit Gin und Tonic mitsamt Eissplittern aus den zerstoßenen Eisblöcken gereicht. Ein seltsam offenes Ende. Oder vielleicht einfach fließend. Beim Verlassen des Saals sieht es wieder nach Regen aus.