Puzzlestücke erzählen


„Searching for Zenobia“ bei der Münchener Biennale: Naima Laube (re.) in der Rolle der Syrerin Zeina, die während des Bürgerkriegs ihre Heimat verlässt, wofür Zenobia, die einstige Königin von Palmyra (Milda Tubelytė), kein Verständnis hat. Judith Buss

Münchener Biennale: „Searching for Zenobia“ zeigt die Trauer der Frauen – um ihre Heimat Syrien, um ihre Liebe. Und wir sehen, wie sie sich wehren gegen die ihnen zugedachte Opferrolle.

Von Marleen Uebler

Es ist ein wenig befremdlich, sich im Publikum gegenüber zu sitzen. Deshalb blicken alle gespannt auf die Bühne zwischen den beiden Zuschauerrängen, um den Blickkontakt mit dem Gegenüber auszuweichen. Diese Bühne besteht aus zwei Podesten, jeweils am rechten und linken Rand, mit einem Gang in der Mitte. Einander gegenüber befinden sich auch zwei Frauen, je eine auf einem der Bühnen-Podeste. Eine liest in einem Buch und trägt ein Leinenkleid, dazu Stiefel. Die andere trägt ein schwarzes langes Gewand, mit Beinschlitzen und langfallendem Stoff. Sie blickt starr geradeaus. Das Licht ist gesenkt, einige Sekunden Stille. Dann spricht die Lesende. „An meine Tochter Leyla“, beginnt sie. Erst wirkt es so, als würde sie aus dem Buch vorlesen, dann legt sei es beiseite, während sie spricht. Sie spricht in der Vergangenheit von ihr und ihrer Tochter, man wird in den Bann gezogen. Plötzlich brechen andere Stimmen die Szene auf, ein Frauenchor. „Er ist gestorben! Dein Mann ist tot!“ Die Frau, Zeina (Naima Laube), schnappt nach Luft.

Diese Musiktheater-Produktion bei der Münchener Biennale von Lucia Ronchetti und Mohammad Al Attar, „Searching for Zenobia“, handelt von Zeina und Leyla, Mutter und Tochter, die wegen des Mordes an Zeinas Mann und der Gewalt des Kriegs aus Syrien nach Berlin fliehen. Verwoben ist diese Geschichte mit der Geschichte Zenobias, der Königin von Palmyra. Palmyra ist eine Stadt, die zu Zeiten der Römer zum Schauplatz von Krieg wird, und dann später wieder, als der Bürgerkrieg in Syrien ausbricht. Wie Zeina hat auch Zenobia ihren Mann verloren, aber sie versucht, die Stadt Palmyra vor dem Untergang zu retten, und nicht zu fliehen.

„Wie kannst du es wagen, deine Tochter heimatlos zu machen?“, singt der Damenchor des Staatstheaters Braunschweig, anklagend, der in dieser Szene Zeinas Zweifel an der Zukunft manifestiert. Zeina wirbelt wütend herum und schreit: „Wie könnt ihr es von mir verlangen, es nicht zu tun? So vernünftig war ich schon lange nicht mehr!“ Das Stück erzählt bruchstückhaft Zeinas Geschichte, mal in den tagebuchartigen Monologen an ihre Tochter gerichtet, mal im Zwiegespräch mit Zenobia (Milda Tubelytè). Zenobia, die Frau, die in Palmyra blieb, ist Zeinas ständige Begleiterin. Mal als stolze Königin, mal als trauernde Ehefrau. Zenobias Gesang ist in Teilen an Tomaso Albinonis Oper „Zenobia, regina de’ Palmireni“ orientiert, aber abgewandelt und mit syrischen Einflüssen durchzogen: Der Mord am Ehemann, der Tod des Sohnes. Zeina hingegen singt kaum. Ihre Geschichte ist voller Vorwürfe und Zweifel, Angst. Einmal schreit sie: „Sobald ich über der Grenze bin, vergesse ich ganz Syrien!“ Dann wiederum sinkt sie in sich zusammen, sitzt verloren da. Aus dem Publikum tritt eine dritte Frau hervor, zunächst wie ein Schatten in der Geschichte. Sie singt auf Arabisch, manchmal sind keine Worte wahrzunehmen. Ist es Leyla, die Tochter? Sie wechselt Rollen. Mal scheint es glasklar Leyla zu sein, dann ist es doch wieder nicht ganz so leicht zu durchschauen.

Irgendwann ist Zeina in Berlin angekommen, sie trägt jetzt Sneaker. Aber die Flucht verfolgt sie noch immer, und Leyla entgleitet ihr, abgeschreckt von Zeinas innerer Zerrissenheit. In jedem Monolog scheint Zeina mehr und mehr ihre alte Heimat zu vermissen. Und auch Zenobia, die zuerst stolz in ihrem Gewand, mit ihrer goldenen Rüstung auf ihrem Thron saß, verfällt mehr und mehr der Trauer. Um ihre Heimat, ihren Sohn, ihre Liebe.

Es werden viele Geschichten in „Searching for Zenobia“ behandelt. Geht es um die Flucht Zeinas? Anfangs ja. Doch dann fokussiert sich die Inszenierung mehr auf die Beziehung zwischen Leyla und Zeina. Erst scheint Zenobias Geschichte ein Gegensatz zu der Zeinas zu sein, die Frau, die blieb. Dann gleichen sich die Geschichten wieder an, die Frauen vereint gemeinsame Trauer. Die Schauspielerinnen spielen mit Musik und der Art und Weise, wie sie Worte mal singen, mal sprechen. Der Chor wird von einem Streicherensemble des Staatsorchesters Braunschweig begleitet, was den Szenen oft ein bedrückendes Gefühl verleiht. Missharmonisch klingende Töne schieben sich unter den Gesang. Der Percussionist Elias Aboud verleiht einigen Szenen rhythmische Untermalung. All das ist perfekt aufeinander abgestimmt, fließt ineinander und trägt Szene um Szene weiter.

Zum Schluss bleibt, dass das Leben oftmals seinen eigenen Weg geht. Alle Frauen sind gebrochen, liegen sich in den Armen und trauern. Um ihre Heimat, ihre Liebe. Und auch wenn die Geschichte berührt, so bleibt doch eine Distanz. Egal wie schrecklich das ist, was auf der Bühne erzählt wird, es wird immer wieder abgelöst von einer neuen Szene aus einer anderen Geschichte und man verliert den Faden, versucht sich zusammen zu bauen, was gerade passiert. Was nun?, schwebt über dem Stück. Was nun, mit diesem Leben?, fragt „Searching for Zenobia“. Zenobia, sagt Mohammad Al Attar, ist ein Sinnbild für viele Frauen, für Frauen, die für Demokratie, Freiheit und Gleichheit gekämpft haben zu Zeiten des arabischen Frühlings, deren Namen aber heute niemand mehr kennt. Mit diesem Wissen wird es einfacher, die Puzzleteile des Stückes miteinander zu verbinden und die gesamte Geschichte zu verstehen.


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