Die Suche nach Erlösung


„Searching for Zenobia“ bei der Münchener Biennale: Mais Harb singt von der gefahrvollen Flucht übers Mittelmeer. Foto: Judith Buss

Münchener Biennale: Syrische Künstler verbinden in „Searching for Zenobia“ die Vergangenheit ihrer Heimat mit der Gegenwart. Dadurch entsteht ein starkes Spiegelbild vom Verlust von Heimat.

von Qutaibah Istanbuly

Weniger als 50 Cent ist Zenobia heute wert. Also nicht Zenobia, sondern die 500 syrischen Pfund, auf deren Schein Zenobia abgebildet ist. Die Frau, die nun von viel Bedeutung für die Geschichte Syriens ist, in der Inszenierung „Searching for Zenobia“ bei der Münchener Biennale. Am Anfang der Aufführung sitzen zwei Frauen auf einem Steg einander gegenüber: Zeina, eine Archäologin aus dem heutigen Syrien, auf einer steinigen Bank, hält mit ihrer Hand ein Tagebuch, aus dem sie erzählt, wie ihr Vater ihr die alte Stadt Palmyra gezeigt hat. Auf der anderen Seite sitzt Zenobia, die einstige Königin von Palmyra, mächtig und stolz auf ihrem Thron. Die Vergangenheit Syriens ist auf der Bühne mit der Gegenwart verbunden und spiegelt sich im Verlust der Heimat wider.

Zeina, gespielt von der Schauspielerin Naima Laube, erfährt, dass ihr Mann Fares, den sie in Palmyra kennengelernt hat, tot ist. „Dieses Land ist ein Schlachthaus!“, schreit Zeina mit einer Stimme voller Trauer, Wut und Frust. Sie darf die Leiche ihres Mannes nicht einmal sehen, der im größten Albtraum jedes Syrers, dem Tadmur-Gefängnis, gefoltert wurde. Zeina entscheidet sich, das Land mit ihrer Tochter zu verlassen und Palmyra den Rücken zu kehren. Ein Ort, der im gegenwärtigen Syrien für die Foltermaschinerie des Assad-Regimes und den Terror des IS steht, der den Ort 2015 erobert hat. Zeina flieht nach Europa. Später kommt es zu Konflikten zwischen ihr und ihrer Tochter, weil die Zeinas ständige Erinnerungen an Syrien nicht mehr erträgt und ihre eigene Identität finden will.

Zenobia auf der anderen Seite, gespielt von der Mezzosopranistin Milda Tubelytė, bereitet sich auf den Krieg gegen die Römer vor. Zenobia will nicht aufgeben. Sie holt ihre Beinschienen und den Brustpanzer aus dem Sand und legt sie an ihrem Körper an. Die historische Zenobia hat gegen Rom rebelliert und weite Gebiete im Osten erobert, darunter Ägypten. Dies hat eine erhebliche Bedrohung der römischen Autorität dargestellt und den Zorn der Römer erregt. Zenobia wird den Krieg am Ende verlieren und laut einigen historischen Quellen von Kaiser Aurelian nach Rom geschleppt.

Das Publikum sitzt in der Muffathalle auf Podesten an den Längsseiten der Bühne. Nähe, Distanz und Perspektiven sind äußerst vielfältig, und die Augen der Zuschauer folgen dem Geschehen von rechts nach links und zurück, genau wie bei einem Tennisballwechsel. Zeina und Zenobia  treffen aufeinander, kommen ins Gespräch. Zenobia, die mächtige Herrscherin, kann nicht verstehen, dass Zeina ihr Land verlassen will. Zeina, voller Emotionen und traurig über die Ermordung ihres Mannes, hat ihre Hoffnung auf eine bessere Zukunft in Syrien mittlerweile verloren.

Lucia Ronchetti hat dafür die Musik komponiert. Sechs Vokalistinnen aus dem Damenchor des Staatstheaters Braunschweig treten auf, begleitet von einem Streicherensemble. Fragmente aus Tomaso Albinonis venezianischer Barockoper „Zenobia, regina de’ Palmireni“ wechseln sich mit arabischer Perkussion und dem zeitgenössischen Klang der Streicher ab. Die arabischen Einflüsse sind spürbar, vor allem aufgrund des Perkussionisten Elias Aboud und den Vokalen der Sängerin Mais Harb. Durch sie vermischen sich Musik und Klänge aus unterschiedlichen Jahrhunderten und Kulturkreisen. „Ich bin des Reisens müde“: Harb singt mit ihrer tollen Stimme immer wieder von den Schmerzen des Verlusts, der Einsamkeit und dem Fremdsein im Exil. Sie stammt selbst aus Syrien und lebt heute in Berlin, was diesen Emotionen Authentizität verleiht.
Plötzlich ertönt ein Geräusch von dem Streichsextett. „Heute ist das Meerwasser klar.“ Die Bestätigung der Schmuggler, die Laila und Zeina nach Europa bringen werden. Ein Satz, den alle gehört haben, die sich für den gleichen Weg entschieden haben, und auch diejenigen, die bei diesem Versuch ertrunken sind. Ein Satz, der als einzige Quelle der Zuversicht gegen die Gefahren des Mittelmeers dienen sollte. Mais Harb formt mit ihrer Hand ein Papierboot, ein klares Bild für die Fragilität des Schlauchboots und die gefährliche Reise der geflüchteten Syrer über das Mittelmeer.

Folkloregesang von Mais Harb, mal mit sehr schönem syrischen Dialekt – hier muss man allerdings Arabisch können, denn die Bildschirme auf beiden Seiten des Saals übersetzen nur den Gesang des Chors ins Englische, aber nicht, was Mais Harb singt. Sandra Hetzl, die den Text von Mohammad Al Attar aus dem Arabischen ins Deutsche übersetzt hat, beschäftigt sich seit langem mit der arabischen Literatur. Vor allem arbeitet sie mit Texten aus Syrien, wie zum Beispiel den Werken von Aboud Saeed. Hetzl wäre sicher in der Lage, Mais Harbs Gesang zu übersetzen, was hier eine verpasste Chance ist. Allerdings schafft die Regie von Isabel Ostermann es, viele historische und soziale Impulse miteinander zu verbinden.

„Searching for Zenobia“ wirft viele Fragen zur Vergangenheit Syriens auf und thematisiert die aktuelle politische, im Limbo schwebende Lage des Landes. Syrische Künstler wie die Sängerin Mais Harb, der Perkussionist Elias Abboud und der Theatermacher Mohammad Al Attar, die in Berlin leben, lenken Aufmerksamkeit auf ihre Heimat. Syriens heutige tägliche Erinnerung ist oft eine grausame Realität, die kaum Platz in Medien findet.


Eine Antwort zu “Die Suche nach Erlösung”

  1. Schöne Beschreibung! Vielleicht noch etwas mehr zur Musik? Und ein kleiner Hinweis: Die Übersetzung der Gesänge von Mais Harb steht im Abendzettel 😉.

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