Hinter den Kulissen von Serien des Kindersenders Nickleodeon ist es in den späten Neunziger- und Nullerjahren offenbar immer wieder zu sexuellem Missbrauch von Minderjährigen gekommen. Die Dokureihe „Quiet on Set“ erhebt schwere Vorwürfe gegen einige Mitarbeiter des Senders.
Einige der Vorwürfe sind nicht neu. Und doch entwickelt die mehrteilige Dokumentarserie „Quiet on Set“ des US-Senders Investigation Discovery eine große Wucht. Weil sie Ausmaß und System der Missbräuche beim Kindersender Nickleodeon belegt und weil sie den Opfern eine Stimme gibt. In Deutschland ist „Quiet on Set“ bislang nur über eine VPN-Verbindung zu streamen, da die Serie bislang nur in den USA veröffentlicht worden ist. In ihr werden Missstände und sexueller Missbrauch, die sich am Set beliebter Hitshows wie „The Amanda Show“ oder „iCarly“ zugetragen haben sollen, aufgearbeitet. Damit wird eine weitere „Me-Too“-Debatte angestoßen, die es in sich hat. Denn im Unterschied zum Fall Harvey Weinstein handelt es sich bei den Opfern, den Nickelodeon-„Survivor“, um damals noch ausschließlich Minderjährige.
2003 bereits wird Nickelodeons Dialog-Coach Brian Peck aufgrund von Kindesmissbrauch verurteilt – zu lächerlichen 16 Monaten Haft. Der von ihm Missbrauchte bleibt aufgrund seiner Minderjährigkeit anonym. In „Quiet on Set“ jedoch tritt er erstmalig vor die Kamera. Es ist Drake Bell, Hauptdarsteller populärer 2000er-Hit-Shows wie „The Amanda Show“ und „Drake & Josh“. Der Schauspieler erzählt über seine schreckliche Zeit hinter den Kulissen, in denen er über Monate hinweg von Peck missbraucht worden ist. Zu dem Zeitpunkt war er gerade einmal 15 Jahre alt.
Brian Peck ist kein Einzelfall. Jason Micheal Handy, ebenfalls Nickelodeon-Mitarbeiter der Sendungen „All That“ und „The Amanda Show“, wurde Anfang der Nullerjahre ebenfalls aufgrund sexuellen Missbrauchs und Besitzes von Kinderpornografie verurteilt. Ein dritter Mann, der für den Sender Animationen gestaltet hat, verbüßte von 2009 an ebenfalls eine sechsjährige Haftstrafe wegen der gleichen Delikte. Nickelodeon habe ihn trotz einer Vorstrafe als Sexualstraftäter eingestellt. Wer jetzt denkt, beim Konkurrenten Disney liefe alles besser, liegt falsch: Kurz nach seiner Entlassung bei Nickleodeon 2005 wurde Brian Peck für die Disney-Show „Zack and Cody“ rekrutiert.
Neben den genannten Missbrauchstätern ist in „Quient on Set“ vor allem von einem Mann die Rede: Nickelodeons „Golden Child“, Dan Schneider. Mehr als 20 Jahre lang kreierte er die erfolgreichen Nickelodeon-Shows. Er war unantastbar, weil er dem Sender die Gewinne einspielte. Dass er mitverantwortlich war für toxische Arbeitsbedingungen, Crewmitglieder und Darsteller:innen gedemütigt und gequält, unangemessene und sexuell aufgeladene Witze im Writers Room erzählt und von weiblichen Mitarbeiter:innen Massagen eingefordert haben soll, scheint den Kindersender erst einmal nicht zu interessieren. Wieso auch, das Geschäft läuft bestens.
Als Schneider 2018 dann bei Nickleodeon mit einer Abfindung von sieben Millionen Dollar entlassen wurde, munkelte man über mögliche Dispute zwischen dem Sender und einem seiner wichtigsten Angestellten. Nach Veröffentlichung der Dokuserie kann sich Schneider jedoch nicht mehr einfach aus der Affäre ziehen.
In einem selbstinszenierten Interview, welches Schneider auf seinem eigenen YouTube-Account hochgeladen hat, äußerte er sich zu den Anschuldigungen. Dass sein Gegenüber kein unabhängiger Journalist ist, sondern ein Freund und ehemaliger Darsteller einer seiner Sendungen, lässt das Gespräch nicht sonderlich glaubwürdig erscheinen. „It was difficult watching me facing my past behaviours that I regret, and I owe some people a pretty strong apology”, so der Produzent. Betroffene scheinen nach eigenen Aussagen dann aber doch noch auf eine persönliche Entschuldigung zu warten. So zum Beispiel Jenette McCurdy, welche sich bereits 2022 in ihrem Memoire zu Schneiders Verhalten äußerte. Der „iCarly“- und „Sam & Cat“- Star beschreibt darin, wie Schneider sie als Minderjährige unter anderem zu Alkoholkonsum gedrängt und unangemessen angefasst und massiert haben soll. Doch anstelle auf die Anschuldigungen einzugehen, drückt Schneider auf die Tränendrüse. Kein Wunder, dass aus seiner ursprünglich geplanten Schauspielerkarriere nichts wurde. So wirklich kauft ihm die Tränen keiner ab.
In der Debatte geht es nicht um das Fehlverhalten eines einzelnen Senders, sondern um ein ganzes System, das toleriert, wegsieht oder einfach nichts wissen will. Zahlreiche Kinderstars waren offenbar vereinnahmt von einem toxischen Umfeld. Einige von ihnen, darunter die genannte Jenette Mccurdy, hatte auch zu Hause wenig Rückhalt und wurde von der Familie zu ihrem Hauptverdiener erkoren. Ein weiteres großes Problem, mit welchem immer mehr Kinderstars an die Öffentlichkeit gehen: Kinder sollten in jeglichen Produktionen, nicht nur Hollywoods, besser geschützt und deren Interessen priorisiert werden. Während Eltern nicht über das Geld ihrer Kinder verfügen sollten, müsste es an Filmsets unabhängige, psychologisch geschulte Ansprechpartner:innen geben, an welche sich Kinder jederzeit wenden können.
Es bleibt nun abzuwarten, wie die Verantwortlichen mit den Vorwürfen umgehen. Letztlich kann man nur hoffen, dass die fünfteilige Dokuserie mehr als ein kurzweiliger Aufschrei ist und Kinderproduktionen langfristig sicherer gemacht werden.