„I wanna be a real boy“


Hybrid aus Film und Theater: Die britischen Künstler*innen Rosana Cade und Ivor MacAskill reflektieren in „The Making of Pinocchio“ Gender-Transitionen sowie ihre eigene Liebesbeziehung zueinander.

Puppe oder Mensch? Mann oder doch Frau? Mit ihrem Stück „The making of Pinocchio” wird die lügende Holzpuppe, welche ein „echter Junge“ sein will, vom Künstlerpaar Rosana Cade und Ivor MacAskill auf eine ganz persönliche Weise neuinterpretiert. Die queere Überschreibung des Märchens, basierend auf der wahren Geschichte MacAskills, thematisiert Transphobie und die Transition des eigenen Körpers. 

Seit 2018 arbeitet das Künstlerpaar an dem rund 90-minütigen Stück, welches nun im Rahmen des Spielart-Festivals 2023 in der Münchner Muffathalle gezeigt wurde. In dem filmstudioartigen Setting wird das Publikum eingeladen, nicht nur Pinocchios Identitätsfindung näher zu ergründen, sondern ebenfalls die des Performers selbst. Ähnlich wie Pinocchio träumt auch der sich als trans definierende MacAskill davon, eines Tages ein „echter Junge“ zu werden. Dabei werden ganz intime und persönliche Details des Darstellers preisgegeben, welche durch die Augen einer hölzernen Puppe erzählt werden. 

Extreme wie Groß und Klein, Theater und Film, Fantasie und Realität, Humor und Tragik spiegeln sich im Stück wider. Mit diesen Gegensätzen wird gespielt, um das Dazwischen, die Transformation zu verdeutlichen.

Das Bühnenbild wird durch eine auf die Zuschauer*innen frontal ausgerichtete Leinwand erweitert. Mithilfe eines technisch versierten „Live-Film-Drehs“ werden die Rezipient*innen in den Entstehungsprozess des Stückes eingeführt. Die Hybridität zwischen Film und Theater erzeugt Dynamik. Abhängig von der Dramaturgie werden die Darsteller*innen in Frontal oder Schrägsicht, in Totaler, Halb- oder Detailaufnahme ausgeleuchtet.

Auch mit Größendynamiken wird gespielt. Ähnlich wie im Original findet auch diese Interpretation der Pinocchio-Geschichte ihren Anfang im Wald. Während der Baum, gespielt von MacAskill, im Gegensatz zum Holzfäller, verkörpert von Cade, auf der Filmscreen sehr majestätisch und groß erscheint, wirkt etwas später im Stück Pinocchio, ebenfalls MacAskill, im Vergleich zum Holzfäller sehr klein und wehrlos. 

Extreme wie Groß und Klein, Theater und Film, Fantasie und Realität, Humor und Tragik spiegeln sich im Stück wider. Mit diesen Gegensätzen wird gespielt, um das Dazwischen, die Transformation zu verdeutlichen. Als MacAskill zur Hälfte des Stückes auf die Bühne kommt, ist er fast nackt. In dieser sehr intimen Szene, welche ebenfalls gefilmt und auf der Screen zu sehen ist, bedeckt er zunächst mit Holztafeln seine Intimstellen. MacAskill, welcher sich in diesem Moment voll und ganz dem Publikum „ausliefert“, entfernt schließlich auch diese von sich. Auf der Leinwand, rechts von MacAskill, erscheint ein Video, das sein vergangenes „Ich“, vor oder in den Anfängen seiner Hormoneinnahme zeigt. Die beiden beginnen denselben Song zu singen. Einmal mit hoher, einmal mit tiefer Stimme. Es ist still im Saal. Alle Augen sind auf diese berührende Szene gerichtet, welche das Thema Geschlechtsumwandlung auf eine packende und kunstvolle Weise inszeniert. 

Während der Entwicklung der Szenen ist auch im Publikum eine Art Transformation festzustellen. Ist die Menge zu Beginn des Stückes noch laut am Lachen, wirkt sie gegen Ende des Stückes sehr ruhig und nachdenklich, schaut sie doch MacAskills Kampf gegen seine frühere Identität und seinem Ringen um die Verwirklichung seiner Wünsche zu. „I wanna be a boy“, ruft der Protagonist und wird dabei immer lauter. „But I lie“, ertönt es im selben Atemzug. Die immer hörbarer werdenden Stimmen und die Musik vom Band nehmen den ganzen Raum ein. Sie vertonen den Selbstkampf, welchen MacAskill nun mit sich eingeht. Sich zugehörig fühlen, sich aber auch nicht „labeln“ zu müssen. Es ist eine Identitätsfindung in einem LGTBQ+Kontext, welcher in dieser Szene ein erneutes Mal auf eindrucksvolle Art und Weise aufgegriffen wird. 

„The show will never be finished,

but that means we can change things.”

Dass sich Dinge im Leben immer wieder ändern können, soll durch dieses Stück deutlich zum Ausdruck gebracht werden. „The show will never be finished, but that means we can change things.” In einer Nahaufnahme liegt das Duo Arm in Arm am Boden, während Cade diese Worte spricht. Es sei egal, ob man Frau, Mann, Esel, Baum, Eichhörnchen, Fee oder doch eine Puppe sein möchte, so die Performerin. Man sollte in keine Schublade gesteckt werden. Jeder hat das Recht, sein persönliches „Ich“ zu entdecken und zu entfalten. Während der bereits voraufgezeichnete Clip der beiden weiterläuft, stehen Cade und MacAskill plötzlich auf, bewegen sich Richtung Leinwand und schauen sich, gemeinsam mit den Zuschauer*innen, beim Träumen zu.

Empfohlen wird „The Making of Pinocchio“ für alle Zuschauer*innen ab 16 Jahren. Sollte das Stück dann aber auch älteren Zuschauenden zu emotional mitreisend werden, ist ein „Wellbeing-Instructor“, ein Fürsorger, vor Ort, welchem man sich jederzeit anvertrauen darf.   

Foto: „The Making of Pinocchio“ von Rosana Cade und Ivor MacAskill © Tiu Makkonen


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